Kapitel 4

Zusammenfassung und Ausblick

In dieser Arbeit wurde die Entwicklung der neuen Alternating-Transmission-Line-Matrix-Methode (ATLM) gezeigt. ATLM ist eine Weiterentwicklung der bekannten TLM-Methode und ermöglicht Simulationen der elektromagnetischen Wellenausbreitung in Hochfrequenzschaltungsstrukturen mit einem erheblich reduzierten Rechenaufwand und einer Erhöhung der Rechengenauigkeit durch die Elimination unphysikalischer Lösungen.

Diese Vorteile basieren auf der Eigenschaft des herkömmlichen TLM-Schemas, die TLM-Pulse, die die Wellenausbreitung beschreiben, in zwei Teilmengen aufteilen zu können. Man unterscheidet die gerade und ungerade Teilmenge. Diesen Teilmengen sind TLM-Pulse mit gerader Parität bzw. ungerader Parität zugeordnet. Die Pulse beider Teilmengen, die sogenannten Subsets, sind im Spezialfall des freien Raums vollständig unabhängig. Die Hälfte der im TLM-Schema berechneten Pulse ist redundant. Es besteht somit die Möglichkeit, TLM-Simulationsrechnungen ohne Genauigkeitsverlust mit nur einer Teilmenge durchzuführen. Der direkte Vorteil ist die Halbierung des Simulationsaufwands. Die zweite wichtige Eigenschaft ist die Unterdrückung von unphysikalischen Lösungen, die bei TLM durch die Verkopplung von Pulsen mit unterschiedlicher Parität verursacht werden. Dies führt zu einer Erhöhung der Genauigkeit von Simulationsrechnungen mit der ATLM-Methode.

Aus dieser Grundidee wurde die allgemein anwendbare ATLM-Methode entwickelt. Da die Randbedingungen und die bisher verwendete Methode zur Modellierung von Medien eine Verkopplung von Pulsen aus beiden Teilmengen zur Folge haben, waren für ATLM geeignete Neuentwicklungen notwendig. Diese Arbeit zeigt eine neue Medienbeschreibung und die Berechnung von Randbedingungen für ideal leitende Wände im ATLM-Gitter, bei deren Anwendung die TLM-Pulse mit gerader und ungerader Parität unabhängig bleiben. Zusätzlich werden die für das ATLM-Schema modifizierten absorbierenden und strahlenden Randbedingungen vorgestellt.

Medien werden bei TLM und ATLM mit Stichleitungen modelliert, die mit dem TLM-Streuknoten verknüpft sind. Um die für ATLM erforderliche Unabhängigkeit der TLM-Pulse mit unterschiedlicher Parität zu gewährleisten, wurde die Länge der Stichleitungen im Vergleich zu TLM verdoppelt. Diese Veränderung bewirkt, daß zwischen dem Eintritt eines TLM-Pulses in die Stichleitung und seinem Austritt genau zwei Zeitschritte vergehen. Die Zuordnung der Pulse zu einer Teilmenge, also die Parität der in der Stichleitung reflektierten Pulse, bleibt somit erhalten. Zur Realisierung dieser Stichleitungen muß die Verlängerung durch eine Anpassung, d. h. Halbierung der Leitungsimpedanzen und -admittanzen ausgeglichen werden.

Die Modellierung ideal leitender Flächen mit ATLM erfordert die Verlagerung der Wände ins Zentrum der Streuknoten. Die Wände müssen also während der Streuprozesse in den Knoten beschrieben werden. Eine Modellierung während der Ausbreitung der Pulse auf den Verbindungsleitungen zwischen den TLM-Knoten, die bei herkömmlichem TLM vom Typ der Wand beeinflußt wird, ist bei ATLM nicht möglich, da dadurch TLM-Pulse mit unterschiedlicher Parität verkoppelt werden.

Für die in den Zentren der Streuknoten des ATLM-Gitters positionierten ideal leitenden Wände sind veränderte Streuprozesse erforderlich. Dazu wurden besondere Streumatrizen hergeleitet. Für jeden Wandtyp, also elektrisch oder magnetisch leitend, jede räumliche Lage, z. B. eine x-y-Ebene, und die unterschiedlichen Flächenübergänge, z. B. Kanten und Ecken, mußten eigene Streumatrizen berechnet werden. Da die Anzahl aller Kombinationsmöglichkeiten und somit die der entsprechenden Streumatrizen unüberschaubar hoch ist, konnten nicht alle Streumatrizen tabellarisch aufgelistet werden. Das war auch nicht erforderlich, da in dieser Arbeit ein Berechnungsschema vorstellt wurde, das es ermöglicht, die Wandstreumatrizen direkt aus den Strukturdaten zu berechnen.

Diese Streumatrixberechnungen können mit dem dazu entwickelten Simulationsprogramm nach einer Analyse der Strukturgeometrie automatisch durchgeführt werden. Zunächst werden alle ATLM-Zellen analysiert und die Wände lokalisiert. Anhand der Lage und des Typs der Wandflächen bestimmt man Eliminationsbedingungen, die auf bestimmte Tore des ATLM-Streuknotens angewandt werden. Des weiteren verursachen die in den Knoten liegenden Wände Veränderungen der charakteristischen Impedanzen von Verbindungsleitungen. Daher müssen neben den Toreliminationen meist auch Impedanzanpassungen an bestimmten Toren der Streumatrizen durchgeführt werden.

Das in der Arbeit entwickelte Schema zur Berechnung der Wandstreumatrizen ist allgemeingültig und kann für die unterschiedlichsten Kombinationen von Wandflächen eingesetzt werden. Als Beispiel sind im Anhang die Streumatrizen einiger Wandknoten abgebildet. Dargestellt sind neben den einfachen ideal leitenden Wänden auch komplizierte Berandungen, z. B. Kanten und Ecken, sowie Strukturen, die Übergänge von Kanten auf Wandflächen darstellen.

Bei jeder Feldanregung und Feldbeobachtung im ATLM-Gitter findet eine Abbildung zwischen diskreten Feldgrößen und TLM-Pulsen statt. Die dazu erforderlichen Abbildungsmatrizen müssen, wie die Streumatrizen, für alle ATLM-Zellen mit Wandflächen extra berechnet werden. Die in dieser Arbeit gezeigte Vorgehensweise ermöglicht die Berechnung der Abbildungsmatrizen fast aller ideal leitenden Wandflächen in beliebiger Kombination. Hier existiert eine Ausnahme: Die Feldabbildungsmatrix für eine ATLM-Berandungszelle, die eine elektrisch ideal leitende Außenkante oder eine Außenecke beschreibt, kann nicht angegeben werden. Der Grund dafür ist, daß die Feldkomponenten einer ATLM-Zelle in ihr Zentrum abgebildet sind. Da an dieser Stelle auch die Spitze der Außenecke bzw. der Außenkante sitzt, die zu einer Singularität im räumlichen Feldverlauf führt, ist eine Abbildung zwischen den Feldgrößen und den TLM-Pulsen hier nicht möglich. Dies führt jedoch in der Praxis zu keinen Schwierigkeiten. Der Verzicht auf die Feldanregung bzw. Feldbeobachtung an Singulärstellen ist im allgemeinen problemlos möglich. Sollte bei speziellen Anwendungen eine Anregung dieser Zellen erforderlich sein, kann sie mit Hilfe einer Zusatzsimulation, mit der man das Anregungsmuster der TLM-Pulse in den betreffenden Zellen berechnet, trotzdem durchgeführt werden.

Genauso wie bei TLM sind auch bei ATLM zur Modellierung offener Strukturen strahlende und absorbierende Randbedingungen erforderlich. Dazu kann man die von TLM bekannten Methoden verwenden, wenn bei ihrer Anwendung die Unabhängigkeit der Pulse mit gerader und ungerader Parität gewahrt bleibt.

Die einfach absorbierenden Wände, die bei TLM zwischen den Zellen sitzen, wurden zur Erhaltung der Unabhängigkeit der Teilmengen ins Zellenzentrum verschoben. Dies führt, wie auch bei ideal leitenden Wänden, zu modifizierten Streumatrizen an den Strukturrändern. Die Qualität dieser einfach absorbierenden ATLM-Randbedingung entspricht den einfachen Randbedingungen des herkömmlichen TLM. Senkrecht auftreffende ebene Wellen werden sehr gut absorbiert, doch bei schrägem Welleneinfall bilden sich am Rand unphysikalische, störende Artefakte aus, die mit zusätzlichen Maßnahmen unterdrückt werden müssen.

Die Absorption in verlustbehafteten Medien ist dazu sehr gut geeignet. Da die Beschreibung der Medienverluste allein in den Streumatrizen der Knoten stattfindet, also keine Verkopplung zwischen TLM-Pulsen mit ungleicher Parität hervorrufen kann, sind keine Modifikationen für den ATLM-Einsatz notwendig. Wie in der Arbeit gezeigt wurde, ist eine Kombination aus einfach absorbierenden Wänden und einigen davor angebrachten Zellenschichten mit Absorbermedium gut geeignet, Leitungsstrukturen seitlich abzuschließen.

Auch die Greenschen Matrizen können bei ATLM problemlos eingesetzt werden, um strahlende Randbedingungen zu modellieren. Hierbei muß jedoch beachtet werden, daß mit den Greenschen Matrizen grundsätzlich auch Verkopplungen von TLM-Pulsen mit gerader und ungerader Parität bewirkt werden können. Die Greenschen Matrizen verwendet man üblicherweise, um das Simulationsgitter im freien Raum fortzusetzen. Der Speicheraufwand zur Durchführung der Faltungsoperation mit den Greenschen Matrizen ist deutlich geringer, als bei einer vollständigen Darstellung des fortgesetzten TLM- bzw. ATLM-Gitters.

Die Genauigkeit und rechnerische Effektivität der neuen ATLM-Methode wurden an Simulationsbeispielen gezeigt und mit den Ergebnissen anderer Simulationsmethoden verglichen. Die Resultate sind sehr gut. Insbesondere treten bei ATLM die von TLM bekannten parasitären Moden nicht auf. Diese Eigenschaft und die Tatsache, daß eine ATLM-Simulationsrechnung im Verhältnis zu einer vergleichbaren TLM-Rechnung nur den halben Aufwand benötigt, machen ATLM zu einer idealen Simulationsmethode für komplexe Strukturen im Zeitbereich.

Die neuesten Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der TLM-Methoden zeigen, daß auch der Aufwand von ATLM-Simulationen reduziert werden kann. In den Artikeln [2425] wird dargestellt, daß die ATLM-Methode eine weitere Redundanz aufweist. Basierend auf dieser Eigenschaft wird die sogenannte Alternating-Rotated-Transmission-Line-Matrix-Methode (ARTLM) entwickelt, die ein Viertel des Berechnungsaufwands der TLM-Methode erfordert.

 


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© 1997   Bernhard Bader
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